Wie oft ich schon auf die Frage antworten durfte, kann ich mittlerweile nicht mehr an meinen Händen abzählen. Aber genau diese Frage versuche ich in diesem Blogeintrag zu beantworten. Ich bin Niklas und aus dem aktuellen Jahrgang des Nordamerikanischen Austausch der Uni Ulm der Einzige an der Illinois State University (ISU) in Normal, illinois.
Seit Anfang August bin ich nun in der (für mich) Kleinstadt Normal inmitten des Bundesstaates Illinois. Ich habe damals, wie es in Franzi’s Blogeintrag zu lesen ist, mit Franzi, Karo, Hannah und Freddy meine Reise in Chicago gestartet, was für mich persönlich nicht besser hätte sein können, da man nicht völlig allein in ein neues Umfeld kommt. Das hat sich dann geändert als ich mit Freddy und Karo in den Zug von Chicago nach Normal gestiegen bin. Nach guten zwei Stunden, in denen man primär Maisfelder links und rechts gesehen hat, in Normal angekommen, bin ich mit zwei Koffern und meinem Rucksack auf dem Rücken direkt zu meiner Apartment-Vermittlung gelaufen, um die Schlüssel für mein zukünftiges Zimmer abzuholen, welches zwar als „off-campus“ gilt, jedoch sehr nah am Fitnessstudio und somit auch am Campus liegt. Ich wohne die beiden Semester mit drei anderen Jungs zusammen, wobei zwei selbst auch an der ISU studieren und einer nur aufgrund seines Freundeskreises dort wohnt. Da ich gute zwei Tage vorm offiziellen Start der Welcome-Week schon vor Ort war, konnte ich die Tage zum einen dafür nutzen, die Stadt und den Campus zu erkunden, zum anderen jedoch auch dafür alle nötigen Erledigungen zu machen, da ich in meinem Zimmer lediglich ein Bett und eine Kommode vorfand. Der große Vorteil an amerikanischen Supermärkten: Du findest dort alles. Und wenn ich sage Alles, dann meine ich Alles. Es hieß also: Ab zu Walmart für Lebensmittel, Bettzeugs und was man eben noch alles für einen Start in einer neuen Stadt braucht.
An meinem dritten Tag in Normal ging dann auch die International Welcome-Week los. Diese ist etwas anders als für die amerikanischen Freshmen, die hier ihre Dorms in einem der riesigen Wohnhäuser (Funfact: Eins der Wohnhäuser ist das höchste Gebäude zwischen Chicago Downtown und St. Louis) beziehen. Für mich handelte es sich eine Woche um so gut wie alles, was man rund um die ISU, den Campus, das Studentenleben aber auch das Visum wissen muss. Teils waren es eher uninteressante Vorträge, teils waren es aber auch nützliche Infos und Sessions, in denen man sein Papierkram rund ums Visum erledigt hat. Mein Tipp: Auf jeden Fall alles mitnehmen, da man dort zum einen erste Kontakte knüpfen kann und zum anderen eben auch nichts Wichtiges verpassen sollte. Am Freitag in der Welcome Week ging es für mich dann noch zur verpflichtenden Einführungsveranstaltung für Graduate Teaching Assistants (GTA, TA, GA … über die Abkürzung ist sich irgendwie niemand einig, ich nutze TA) und zur Einführung der Mathe-Fakultät.
Ab dann beginnt der Uni und TA-Alltag. In der ersten Woche eines jeden Semesters kriegt man seine Zuteilungen als Tutor, sitzt (das erste Mal) in seinen eigenen Vorlesungen und ist höchstwahrscheinlich auch im Tutoring Center der Mathe-Fakultät (eine Art Hilfe-Stelle für alles rund um Mathe) tätig. In meiner Zeit an der ISU bin ich als Graduate Student im Master Actuarial Science eingeschrieben und habe folgenden Kurse in meinem ersten Semester (Fall) gehört:
- MAT 337 (Advanced Linear Algebra)
- Hier gehts etwas über das deutsche Pendant Lineare Algebra I und II hinaus, ist aber meiner Meinung nach sehr gut machbar. Im Master Actuarial Science deckt dieser Kurs einen Pflichtbereich ab, in dem man zwischen drei Kursen aus der reinen Mathematik wählen kann.
- MAT 381 (Actuarial Models II)
- In diesem Kurs geht’s primär um klassische aktuarielle Berechnungen, wie Reserven, Prämien und Renteneinkommen. Es ist vergleichbar mit PVM an der Uni Ulm und war in dem Semester mit Abstand der Kurs mit dem meisten Aufwand. Das lag aber unter anderem auch daran, dass es zum ersten Mal ein Kurs war, der mit der SOA (eine der beiden amerikanischen Aktuarsvereinigungen) in Kooperation abgehalten wurde. Man konnte ähnlich wie in Ulm das Examen der Aktuarsvereinigung dazu ablegen.
- MAT 483 (Mathematical Models in Investment and Finance)
- Der Kurs hat sehr viele Parallelen zum Ulmer Kurs Derivatives und wurde wie auch MAT 381 vom berühmten Dr. Ostaszeweski (auch Dr. Krysz genannt) gehalten.
Im Spring Semester höre ich aktuell folgende Kurse und erfülle somit alle Bedingungen, um meinen Master an der ISU abzuschließen:
- MAT 455 Applied Stochastic Processes
- MAT 480 Applications of Actuarial Principles
- MAT 411 Deep Learning
- MAT 400 Independent Study
- Da der Deep Learning Kurs leider nur 3 Credit Hours gibt, habe ich mich dazu entschieden in Zusammenarbeit mit einem Professor, dem ich im Fall Semester als TA zugeteilt war, eine Independent Study abzulegen. Dabei helfe ich Ihm in seiner Forschung und übernehme einen Teil seines Papers in seinem Forschungsbereich.
Generell empfehle ich jedem, der an die ISU gehen wird, sich sorgfältig mit den Kurs-Bedingungen auseinanderzusetzen, da man damit so gut wie allein gelassen wird und mir zum Beispiel kurz vor Ende des Fall Semesters zwischen Tür und Angel gesagt wurde, dass ich mit meinem aktuellen Plan nicht abschließen kann. Abschließend zum Akademischen ist noch anzumerken, dass ich die sog. „Non-Thesis“ Option des Masters hier in Anspruch nehme und somit mit einem Praktikum in Deutschland nach den zwei Semestern meine Masterarbeit an der ISU ersetze.
Einen nicht allzu kleinen Teil der Zeit nimmt neben den eigenen Vorlesungen die TA-Position ein, wobei ich in meinem ersten Semester einem Kurs aus dem Feld der sog. General Education, einem Professor und mit zwei Stunden dem Tutoring Center zugeteilt war. Das Tutoring Center benötigt keine Vorbereitung und war deshalb recht angenehm. Bei den beiden anderen Zuteilungen ging es zum einen darum den Professor beim Korrigieren und Beaufsichtigen von Klausuren und in seiner Forschung zu unterstützen. Dabei habe ich z.B. mit dem universitätseigenen 3D-Drucker arbeiten dürfen, was mir persönlich recht viel Spaß bereitet hat. Am meisten hat mir jedoch die Arbeit mit den Studenten aus dem GenEd-Kurs gefallen, was wahrscheinlich auch daran lag, dass ich täglich mit den Studenten zu tun hatte. Jede/r Undergraduate Student muss (!) aus gewissen Bereichen je einen Basiskurs belegen und so eben auch einen Mathekurs. Das hieß für mich, dass nahezu 100% der Studenten, die diesen Kurs belegen, wenig bis keine Motivation haben, sich mit dem Stoff auseinanderzusetzen. Meine Aufgaben waren das Halten der wöchentlichen Labs, Kontrollieren der Anwesenheit und teils auch aktiv Teile in der Vorlesung zu übernehmen. Nach einer kurzen Gewöhnung aneinander haben sich die Studenten auch getraut mehr nachzufragen, wobei es zwar meist um den Stoff der Vorlesung ging, jedoch waren sie auch sehr an mir als deutschen Austauschstudenten und meinem ersten Eindrücken interessiert, was die Gespräche oftmals aufgelockert hat.
Neben dem akademischen Unileben hat die ISU und die Stadt Normal/Bloomington jedoch noch ein wenig mehr zu bieten. Auch wenn die ISU für keine ihrer Sport-Teams national bekannt ist, habe ich relativ schnell gefallen am College-Sport gefunden und mir in der ersten Woche auch direkt eine Saison-Karte geholt. Die Football-Saison läuft z.B. nur im Fall Semester, sodass ich in meinem ersten Semester zu einigen Spielen gegangen bin. Zusätzlich findet am jeden der Heimspieltagen das sog. „Tailgaiten“ statt, was den ganzen Tag zu einem großen Event werden lässt. Dabei trifft man sich meist recht früh vorm Anpfiff auf den umliegenden Parkplätzen rund ums Stadion und grillt zusammen, spielt Bags (Ich kannte es unter Cornhole) und trinkt evtl. auch das ein oder andere Kaltgetränk. Ich hatte das Glück bei einem Tailgate eingeladen zu sein und kann es nur empfehlen, falls man mal die Möglichkeit hat. Im Verlaufe hat dann auch die Basketball-Saison angefangen, sodass ich auch dort regelmäßig zuschauen war – Teils als Lernpause in den finalen Wochen der Klausurphase oder zum Einläuten eines netten Abends unter Freunden. Die ISU kann einem evtl. nicht das College-Sport-Erlebnis bieten, von dem man möglicherweise schonmal gehört hat, jedoch kann es sich meiner Meinung nach allemal sehen lassen. Abseits des Campuslebens hat die Stadt Normal meiner Meinung nach auf den ersten Blick nicht ganz so viel zu bieten. Lediglich eine kleine Straße mit kleineren Restaurants, Boutiquen und ein paar Bars findet man im sog. Uptown vor. Die Bars werden von den Studenten sehr gut angenommen, wobei auch ich mich dort nicht zu allzu selten nach einem langen Tag in der Uni oder am Wochenende blicken lassen habe. Jedem meiner Nachfolger/innen lege ich dabei herzlichst den Pub-Wednesday im Pub II und das Burger-Menü zum Lunch im Brew-Has für $4.50 ans Herz. Neben Uptown Normal gibt es dann auch noch Downtown Bloomington, was tagsüber mehr aus Kaffees und weiteren Boutiquen und nachts einer weiteren Partymeile aus Bars und Clubs besteht. Neben einem ordentlichen Nachtleben kann man sich aber auch durch etliche Restaurants und Fastfood-Ketten probieren, ins Kino gehen oder es sich auf einer Golf-Range mit Essen gut gehen lassen. Der erste Eindruck der Stadt und den Möglichkeiten hat sich also nach einer Zeit gelegt und man konnte es sich je nach Belieben gut gehen lassen.
Eine gelungene Ablenkung vom Alltag sind auch die regelmäßig angebotenen Trips des International Offices. Unter deren Organisation bin ich zum Beispiel nach Springfield, der Hauptstadt Illinois, gekommen. Dort haben wir das Abraham-Lincoln-Museum, das Capitol Gebäude Springfields und auf dem Rückweg die Grabstelle der Familie Lincoln besucht. Da dies meist preiswerte Tagestrips sind und man auch mal etwas anderes als Normal zu sehen bekommen, finde ich bietet das International Office hiermit sehr gute Möglichkeiten.
Über Thanksgiving habe ich die vorlesungsfreie Woche genutzt für einen kleinen Rund-Trip nach Boston und New York City. Durch einen Zufall habe ich dann sogar noch am Flughafen mit Franzi geschrieben, die selbst auch auf dem Weg nach Bosten war. So haben wir uns kurzerhand zusammengeschlossen, waren abends in der Innenstadt Bostons essen und haben am nächsten Tag in einer großen Tour Bosten erkundet. Am zweiten Tag in Boston musste sich Franzi bereits auf ihre Weiterreise machen, sodass ich den Rest Bostons zu Fuß erlaufen bin. Daraufhin ging‘s dann auch für mich weiter nach New York City, was wahrscheinlich jeder durch Social Media ein wenig kennt, auch wenn man noch nicht selbst dort war. So war es auch bei mir der Fall und da mir das Entdecken verschiedenster Ecken zu Fuß in Boston sehr viel Spaß gemacht hat, habe ich das in NYC auch so beibehalten. Die Stadt hat unendlich viel zu bieten, allein schon was das Essen angeht. Ich hatte dort auch das Glück recht günstig in einem zentral gelegenen Hotel zu schlafen, sodass es auch gut machbar war, den Großteil ohne Uber etc. zu überleben. Ein großes Highlight in NYC war die berühmte Thanksgiving-Parade, die mich ein wenig an einen Karnevalszug erinnert hat und für die mich im Nachhinein viele der Amerikaner in Normal beneidet haben. Auch ein guter Freund hat mir davor schon erzählt, dass er sich die Parade als Kind immer im TV mit seinen Eltern angeschaut hat. Ebenfalls eine Art Highlight war der nächste Tag: Der von Sonderangeboten überflutete Black Friday. Auf der einen Seite ein guter Zeitpunkt für mich auch ein klein wenig shoppen zu gehen, auf der anderen Seite war es nahezu unmöglich durch die Menschenmassen durchzukommen. Als dieser aber rum war, hieß es für mich Abschied zu nehmen und wieder zurück nach Chicago zu fliegen, wo ich die Woche mit einem ganzen Tag in Chicago abgeschlossen habe. Da die Familie von einem guten Freund sowieso an dem Tag nach Chicago kommen wollte, haben wir uns unter anderem zusammen den deutschen Weihnachtsmarkt vor Ort angeschaut. Ich war überrascht, wie nah dieser tatsächlich an einen typisch deutschen Weihnachtsmarkt rankommt. Nur die Preise waren völlig fern von denen aus der Heimat – $12 für eine Bratwurst im Brötchen oder einen Glühwein. Trotzdem war es schön ein klein wenig Heimat mal wieder live gesehen zu haben und so habe ich mich dann auch wieder in den Zug nach Normal gesetzt, um nach einer Woche Pause mit neuer Motivation in die letzten drei Wochen des Semesters zu starten, die bei mir nahezu nur aus Klausuren bestanden.
Mit drei bestandenen Kursen im Gepäck ging es für mich Mitte Dezember mit dem besagten Freund nach Chicago zu seiner Familie, welche mich über die Winterpause zu sich eingeladen hat. Neben dem typisch amerikanischen Familienleben, der Vorweihnachtszeit und einem geselligen Neujahrsabend sind wir unter anderem eine Woche zusammen nach Puerto Rico (im Übrigen ein Territorium der USA und somit ohne zusätzlichem Aufwand zu bereisen) geflogen, was mir wohl so schnell nicht in Vergessenheit geraten wird. Zum Abschluss meiner Winterbreak bin ich dann noch mit Freddy, der das Jahr mit Karo in Rolla verbringt, nach Washington DC geflogen. Dort haben wir unter anderem das Capitol, das Pentagon und das Weiße Haus begutachtet. Letztere beide hätten wir beide uns jedoch etwas aufregender und größer vorgestellt. Da Mitte Januar dann auch spätestens der Winter einbrechen sollte, musste ich etwas bangen, dass mein Rückflug auch pünktlich wie geplant zurück nach Chicago abhebt, da dort zu dem Zeitpunkt -20°C herrschten. Temperaturen, die ich persönlich so noch nicht erlebt habe und mir auch prägend in Erinnerung bleiben werden. Doch schlussendlich bin ich nach Plan über Chicago wieder zurück nach Normal gekommen, sodass hier auch ab Mitte Januar das zweite Semester losgehen konnte.
Nun ist es auch schon Mitte/Ende März, das Semester ist zur Hälfte rum und es läuft alles wie geplant rund ab. Hinter mir liegen eine Woche Spring Break, die ich sowohl in New Orleans als auch in Chicago zum St. Patricks Day verbracht habe, um dann mit neuer Motivation in die letzte Hälfte des letzten Semesters zu starten.